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Adel verpflichtet  I

Veröffentlicht am 12.06.2020

Ehemaliges Wohnhaus der deutschen Schriftstellerin Hedwig Courths-Mahler (1867-1950) in der Schwaighofstraße 47 in Tegernsee, Landkreis Miesbach, Regierungsbezirk Oberbayern, Bayern. Laut Gebäudetafel im Jahr 1900 erbaut, 1933 von Courths-Mahler erworben und bis zu ihrem Tod 1950 von ihr bewohnt. Als Baudenkmal in der Bayerischen Denkmalliste aufgeführt. Foto gemäß den Voraussetzungen zur Panoramafreiheit von öffentlicher Verkehrsfläche aus aufgenommen. (wikipedia)

 

Wer liest denn heute noch Courths-Mahler?
Hedwig Courths-Mahler wird am 18. Februar 1867 in Nebra an der Unstrut geboren, unehelich. Sie wird Verkäuferin und schreibt mit 17 Jahren ihren ersten Roman Scheinehe. Zwischen 1905 und 1939, zwischen Nur aus Liebe und Marlies, entstanden in harter Arbeit 207 Werke. Die Nationalsozialisten verweigern ihrem Verlag das Papier. Sie gilt als unerwünschte Autorin. Offenbar waren die Frauen häufig zu selbstständig. Nach dem Krieg gab es noch einen letzten Roman Die Flucht in den Frieden, 1948. Am 26 November 1950 stirbt Courths-Mahler.

Im Verlag Bastei Lübbe sind 192 Heftromane neu aufgelegt, sie erscheinen dort seit 1974 exklusiv und erzielen pro Jahr eine Auflage von rund 3,6 Millionen Exemplaren. Ihre Bücher wurden in 17 Sprachen übersetzt; in ungekürzter Taschenbuch-Fassung wurden bisher 183 Titel in einer Gesamtauflage von 5 Millionen Exemplaren veröffentlicht. (Alle Angaben vom Verlag Bastei Lübbe.)

Nach dem Krieg wurden ihre Romane sofort wieder gelesen: es war eine wunderbare Scheinwelt, Wunschwelt, Glücksvorstellungen.

 

Was passiert?
Immer ist eine oder einer zu Unrecht vom Leben verletzt, wird schließlich am Ende des Romans erhöht, durch eine unvermutete Erbschaft, es gibt ein Verlöbnis, die Ehe.
Das heißt, der Weg der Protagonisten ist eigentlich vorgezeichnet. Von Leid und Not geht es ständig aufwärts zum Glück.


Sehr häufig geht es um Beziehungen zwischen Armen und Reichen, zwischen Angehörigen des mittleren Adels (Herzögen, Grafen, Freiherren, Baronen) und des Kleinbürgertums. Der Adel wird fast immer positiv geschildert.

Das Grundschema ist stets ähnlich; es steht zu vermuten, dass ihre treue Leserschaft dies so erwartete.

 

Griseldis (1917)
An diesem Roman lässt sich das sehr gut festmachen.
Graf Harro kehrt nach Wochen der Untersuchungshaft aus dem Gefängnis auf sein Schloss zurück. Selbstverständlich in stürmischer Nacht. Er wurde des Mordes an seiner Gattin angeklagt. Was war geschehen? Er hatte sie in den Armen ihres Geliebten gefunden, diesen mit der Peitsche vertrieben. Am Morgen danach wurde sie in ihrem Gemach tot aufgefunden. Vor eben diesem aber hatte die Zofe gewacht, und so wurde der Graf nicht schuldig gesprochen, erhielt stattdessen einen Freispruch ‚aus Mangel an Beweisen‘.

Bei seiner Rückkehr zum Schloss erwartet ihn sein kleines Töchterlein Gilda, weiß gekleidet, und seine Kusine Beate, schwarz gekleidet, eine Frau mit steifem sprödem Haar. Die Lesenden spüren sofort, schon durch die Farbgebung, diese Person ist das Böse im Buch.

Da kam plötzlich etwas Weißes die Treppe herab. Es war die kleine Komtesse Gilda, ein reizendes Kind mit blonden Locken...
“Meine kleine Gilda – mein liebes Kind“, sagt er mit rührender Zärtlichkeit.

Und Beate: Ihr Antlitz war nicht unschön, aber ihre Züge hatten etwas Hartes, fast Männliches durch die große, kühne vorspringende Nase und den herb geschlossenen Mund. Zu dem tiefschwarzen Haar passten die schwarzen Augen, die sich jetzt mit einem brennenden Blick auf Graf Harro richteten. Sie verrieten, daß viel ungebändigte Leidenschaft in der Seele dieses Mädchens wohnte.

Am nächsten Morgen begibt sich Graf Harro mit Töchterchen Gilda auf einen Gang durch seinen Wald und trifft dort auf seinen Freund, Baron Dahlheim. Dieser, zu Pferd, wendet sich mit Grausen, schneidet den Grafen. Der Freispruch macht ihn zu einem Verfemten in der Gesellschaft.

Er sucht eine neue Erzieherin für seine kleine Tochter. Doch wird sich jemand zu ihm wagen, zu ihm dem Geächteten? Wird eine Frau den Mut haben, mit ihm unter einem Dach zu leben?

Bei einer treuen Freundin seiner Mutter, Vorsteherin eines Damenstifts, hat die junge verarmte Grisledis von Ronach Zuflucht gesucht. Trotz eines Lehrerinnenexamens muss sie sich ihr Brot verdienen. Die Stelle einer Erzieherin nimmt sie sofort an, zumal sie an die Unschuld des Grafen glaubt, beeinflusst von der Mutter Oberin.

Griseldis sah seltsam erregt in das schmale vornehme Männergesicht. Da vor ihr stand ein Mann, den die Stürme des Lebens gereift hatte. Seine Augen und der herb geschlossene Mund hatten das Lachen verlernt. Aber nichts von Schuld lag auf diesem edlen Antlitz.

Es kommt, wie es kommen muss. Mit Griseldis zieht natürlich so langsam wieder Freude in das Herz von Graf Harro; sie verliebt sich relativ schnell in ihn und will alles tun, um seine Unschuld an Licht zu bringen.

Beschrieben wird sie als krasses Gegenteil von Komtess Beate: eine jugendschöne Gestalt, blondes gewelltes Haar, eine sanfte Stimme, ein schelmisches Lächeln.

Griseldis findet durch Intelligenz und unermüdliche Suche die wahre Mörderin. Der Weg zur Rehabilitierung des Grafen öffnet sich...
 

Frauen bei Courths-Mahler
Die Frauen bei Courths-Mahler sind nicht etwa Dummerle; ganz im Gegenteil.

Die ‚Guten‘ haben fast immer etwas gelernt, haben ein Lehrerinnenexamen, waren gar auf der Handelsschule, Sekretärin bei einem berühmten Schriftsteller – kurz, durchaus keine Heimchen. Selbst in diesem Buch Heimchen, wie lieb ich dich, geht die junge Frau nach Kanada, nach einer Erbschaft, und sie wird dort von den Herren der Geschäftsführung sehr schnell anerkannt. Später, bei der Heirat, entscheidet sie, dass Gütertrennung doch rückständig ist.

Es ist freilich nach dem heutigen Stand der Dinge, wo es so viele selbstverdienende und selbständige Frauen gibt, veraltet, dass sie in dieser Beziehung immer noch abhängig vom Mann gehalten werden.

Die positiv belegten Frauen fahren alleine nach Südwest, nach Ceylon, werden dort Farmerinnen, schlagen sich notfalls durch die Kordilleren – sie stehen ihren Mann, wie es so schön hieß.

Und das ‚bisschen Haushalt‘, damals doch noch etwas aufwendiger als zu heutigen Zeiten, ja, das erledigen sie selbstverständlich auch noch mit links.

Ihr Counterpart sind entweder Girlies, oft mit schriller Stimme, die mit ihren weiblichen Reizen Männer verführen wollen. Möglichst flott einen reichen Kerl aus gutem Hause zu ergattern, das ist ihr Ziel.

Unbeleckt von Haushalt und Wissen gehen sie durchs Leben, und selbst mütterliche Gefühle sind ihnen fremd. An ihre Rivalinnen verschwenden sie ohnehin keinerlei Gedanken.

Und dann gibt es da noch die Strengen, die mit dem kalten Herzen, welche die Liebe nie kennen gelernt haben. Sie, die mit dem starren Haar, stoßen die Sanfte, ohne zu zögern, in den Abgrund.

Doch das Gute siegt immer bei Courths-Mahler.

Über eine Antwort auf die anfangs gestellte Frage lässt sich nur spekulieren: Offenbar gibt es eine Leserschaft, die sich auf diese Scheinwelt noch heute gerne einlässt. Und das nach 1968!
 

Wie aber steht der heutige Adel zum Bürgertum?

 

© Text Ariane Niehoff-Hack, Frauen in der Einen Welt

 

 

 
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